Eine grobe Einteilung lässt sich zwischen den KK schon sehr lange feststellen: Mit und Ohne Wettkampf. Immer wieder wird man auf, teils erbittert geführte, Diskussionen bzgl. der Sinnhaftigkeit des Wettkampfes stoßen, wobei wir denken dass es eigentlich keinen Grund für diese „Unvereinbarkeit“ geben sollte.

Alles steht und fällt mit der Zielsetzungen mit der man eine Kampfkunst / einen Kampfsport (ich kürze beides ab jetzt „KK“ ab) ausübt. Das Ziel definiert die Methode!!!

Der fundamentale Unterschied zwischen Wettkampf und „Realität“ besteht, zumindest früher als die KK entstanden, darin dass ich im Wettkampf meinen Gegenüber nicht töten will und nicht fürchten muss getötet zu werden. Schauen wir uns an was dieser Unterschied im Gehirn bewirkt:

In dem Beitrag über das „Gehirn und die Bilder“ haben wir über „Fight, Flight, Freeze“ geschrieben. Diese „Modi“ haben auch etwas damit zu tun wie unser OFC eine Situation beurteilt. Sehe ich etwas als Herausforderung an bewirkt das einen anderen Aktivierungsgrad als wenn ich etwas als Überforderung oder Hilflosigkeit erlebe. Der entscheidende Unterschied in den aktivierten Hirnarealen besteht also in „Herausforderung, Hilflosigkeit und Überforderung (die letztendlich aus der Hilflosigkeit, für die man keinen Kompensationsmechanismus findet, entsteht)“.

Noch einmal: Herausforderung, Hilflosigkeit und, wenn kein Ausweg aus der Hilflosigkeit, Überforderung, die zu Angst und Panik führt!!!

Schauen wir uns jetzt eine klassische Situation aus dem Wettkampf an (z. B. Klitschko vs. Fury):

Jeder dieser beiden Ausnahmeathleten hat hart trainiert, ist topfit, hat sich intensiv mit seinem Gegner auseinander gesetzt und ist der Meinung den Kampf gewinnen zu können. Beides sind Alpha-Männchen und der Wettkampf dient dazu dem anderen zu zeigen dass man das größere Alpha-Männchen ist. Der Einsatz ist nicht das Leben, sondern ein überschaubarer Teil der Gesundheit und (nicht zu unterschätzen) der soziale Status (Geld, Ansehen etc.). Ein solcher Kampf entsteht nicht plötzlich, sondern beide haben Zeit sich vorzubereiten. Der Raum ist bekannt, die Regeln sind bekannt, der Zeitpunkt ist bekannt.

Beide Kontrahenten gehen also im „Herausforderungsmodus“ in diesen Kampf. Ab da gibt es mehrere Möglichkeiten. Entweder beide sehen den Kampf bis zum Ende als Herausforderung an und meinen gewinnen zu können oder der Eine wird derart von dem Anderen überrascht (z.B. durch einen „Stahljab“) das er zunächst in eine Hilflosigkeit gerät. Wenn er eine Lösung dafür findet / finden kann, dann wird daraus wieder eine Herausforderung. Wenn er keine Lösung findet und die Schmerzen, die Erschöpfung mehr werden, dann springt die Überforderung an und der Kampf ist so gut wie verloren, denn der OFC wird immer mehr die Kontrolle verlieren und man ist den tieferen Hirnarealen „ausgeliefert“ (wenn man das nicht anders trainiert hat, dazu später mehr).

Ein Wettkämpfer wird also immer versuchen im Herausforderungsmodus zu sein, bzw. so schnell wie möglich dort wieder hin zu kommen, denn nur dort bleibt man im planerischen Denken handlungsfähig.

Gucken wir jetzt auf die „Realität“, und da nehme ich jetzt bewusst eine Situation aus dem historischen Kontext der KK:

Ein Karawanenbegleitdienst auf einem einsamen Weg irgendwo in der chinesischen Provinz. Obwohl man den Weg kennt und weiß wo ein Hinterhalt geeignet ist und obwohl man den hiesigen Warlord bestochen hat weiß man nie OB und WANN ein Angriff erfolgen wird. Man weiß genau dass die Leute, die so etwas tun werden, kein Interesse daran haben einen am Leben zu lassen. Ein Leben ist eh nichts wert. Das Gehirn ist permanent in einem Modus der latenten Hilflosigkeit, aber das Training hat es immerhin hinbekommen dass man diese Angst (Hilflosigkeit) in eine Herausforderung umwandeln kann. Man hat gelernt der Angst mit dem Herausforderungsmodus zu begegnen.

Alleine diese Verknüpfung ist ein großer Unterschied zu dem was man im Wettkampf lernt! Die Herausforderung im Wettkampf findet im OFC statt, dort entscheiden wir uns BEWUSST für die Annahme des Kampfes. In der (damaligen) Realität kann man sich nicht FÜR oder GEGEN einen Kampf entscheiden, das entscheiden Andere. Die Verknüpfung im Gehirn unseres Söldners findet also auf der „Emotionsebene“ statt. Er hat Angst, kann ihr aber nicht ausweichen, während der Wettkämpfer ein kalkulierbares Risiko für seine Gesundheit und seinen sozialen Status eingeht und somit nur wenig Angst haben muss (hätte er mehr würde er nicht kämpfen).

Bei dem Söldner geht es also um ALLES, sein komplettes Leben, daraus resultiert seine Angst. Durch sein Training hat er alles getan um der potentiellen Gefahr des Todes entgehen zu können. Er WEISS wie er mit einem Speer, einem Säbel und seinen Fäusten umgehen kann, wie er damit einer LETALEN Bedrohung begegnet und wie er selber damit TÖTEN kann. Dieses Wissen um seine eigene Wehrhaftigkeit im Angesicht des Todes macht aus der Angst vor dem Angriff eine Herausforderung zu ÜBERLEBEN.

Sein Training macht es ihm möglich eine Todesangst in eine Herausforderung zum Überleben umzuwandeln!

Was passiert in der chinesischen Provinz weiter? Der Söldner hat Pech. Die Karawane wird PLÖTZLICH überfallen. Er hat keinen Einfluss auf Ort und Zeit, Regeln gibt es nicht. Im Moment des ÜBERFALLS schießt seine Angst unter die Decke (plötzlich ist der Tiger da, um bei dem Bild aus „Das Gehirn und die Bilder zu bleiben). Durch das Training sieht er diesen Moment als MAXIMALE Herausforderung an. Wenn es gut geht wird er kämpfen und überleben und mit jedem toten, bzw. verletzten Gegner wird dieser Kampf zu einer stärkeren Herausforderung, er wird sicherer das zu Überleben. Enden tut das Ganze dann wenn es keinen Gegner mehr gibt oder er an jemanden gerät der stärker / besser ist und ihn tötet.

Je mehr erfolgreiche Einsätze und Kämpfe unser Söldner hatte, desto sicherer wird aus der Angst eine Herausforderung und keine Überforderung, aber was könnte auch im Moment des Überfalls passieren?

Der Söldner stellt fest dass es eine Übermacht ist oder dass sie besser bewaffnet sind etc. Er verliert den Glauben an sich, die Angst wird größer er rutscht in den Flight-Modus, kann aber nicht fliehen. An Kampf ist nicht mehr zu denken. Mit Glück kann er darauf hoffen durch „Freeze“ gefangen genommen zu werden und zu überleben, mit Pech ist er einfach tot.

Schauen wir also zunächst auf die UNTERSCHIEDE zwischen Wettkampf und „Realität“:


Wettkampf

Ort, Zeit, Regeln bekannt

Einsatz ist der soziale Status

Angst spielt eine untergeordnete Rolle

Risiken kalkulierbar

Unbewaffnet

Ziel ist der Sieg über den Anderen

Unbewaffnetes Training als Ziel

 

„Realität“

Ort, Zeit unbekannt, keine Regeln

Einsatz ist das Leben

Angst spielt eine zentrale Rolle

Risiken unkalkulierbar

Bewaffnet

Ziel ist der Tod des Anderen

Unbewaffnetes Training als Grundlage zum Umgang mit Waffen

 

Jetzt ein Blick auf die GEMEINSAMKEITEN:

– Training des Körpers

– Der Wille zu gewinnen, den Anderen zu dominieren

– Auseinandersetzung mit Gewalt

– Harte Arbeit an sich selbst / Auseinandersetzung mit sich Selbst

– Fertigwerden mit Niederlagen

– Grenzen gezeigt bekommen

– Umgang mit Schmerzen

– Disziplin

– Achten / pflegen des Körpers

– Ein Umfeld das o.g. Punkte teilt

– Selbstachtung

Man sieht dass die Gemeinsamkeiten der Beiden bei weitem überwiegen, daher kann es auch kein „entweder oder“ geben!

Der, für uns, entscheidende Punkt ist jetzt das Ziel des Trainings und da muss jeder ehrlich zu sich selber sein. WARUM will ich persönlich eine Kampfkunst lernen. Was ist mein persönliches Ziel? Was bin ich bereit dafür an Zeit und Aufwand zu investieren?

Die Kampfkünste sind in einer Zeit entstanden als das Training für die „Realität“ überlebensnotwendig war. So ein Training veränderte die Persönlichkeit! Es verändert den Umgang mit Ängsten, mit Gewalt und die Sicht darauf. Es erfordert viel Zeit und Ausdauer.

Heutzutage sind wir nicht mehr den Gefahren der damaligen Zeit ausgesetzt. Leute, die heute KK üben, tun dies nicht um zu überleben! Die Meisten wollen einen (oder mehrere) der oben genannten gemeinsamen Punkte trainieren, es geht nicht ums töten .

Wenn ich mich also nur für die gemeinsamen Punkte interessiere, dann brauche ich den Wettkampf, denn er bringt Motivation, Überprüfung der Fähigkeiten, ein Ziel zum hintrainieren, hält das Team zusammen etc.

Wenn ich mich jedoch für eine authentische KK der damaligen Zeit interessiere, dann kann der Wettkampf hinderlich sein, solange ich mich nicht sehr, sehr bewusst in dieses Umfeld begebe. Warum? Weil der Wettkampf durch seine Regeln andere Verhaltensweisen und Techniken erlaubt die im Kampf auf Leben und Tod, mit Waffen, nicht möglich sind:

– Der Gabelgriff im Ellbogen ist im Wettkampf „tödlich“ für den Daumen, in der Realität wäre ein Griff ohne Gabel tödlich für den Übenden, da nur so eine Waffe kontrolliert werden kann

– Ein Underhook, bei dem ich den Nacken bekomme, ist im Wettkampf nicht schlimm, in der Realität wäre man bewaffnet dann tot.

– Ein Schlag gegen die Kinnspitze ist ärgerlich, aber nicht tödlich. Ein Stich unter die Kinnspitze ist tödlich

– Fehlende Kontrolle des Waffenarms in einem „Eingang“ kann den Tod bedeuten, im Wettkampf ist es nicht schlimm, evtl. funktioniert es nicht

Diese Liste ließe sich noch endlos fortsetzen und soll auch nur der Verdeutlichung dienen wo die Unterschiede in bestimmten Techniken liegen.

Im Wettkampf muss man sich über bestimmte Dinge keine Gedanken machen und kann somit ein komplett anderes „Spiel“ entwickeln bzw. bestimmte Dinge komplett anders zum funktionieren bringen. Solange man bewusst unterscheiden kann was man wofür trainiert, solange ist ein Wettkampf nicht schlecht, zumal die Zielsetzung eben nicht ist in einem Kampf auf Leben und Tod zu überleben oder eine bewaffnete Auseinandersetzung zu führen!

Auseinandersetzungen finden heutzutage für die allermeisten Menschen unbewaffnet statt und sind eher „Schlägereien“. Für diese Szenarien ist man mit dem Training für den Wettkampf sehr gut vorbereitet, denn oft ist dies auch eine gewalttätige Situation in der es um sozialen Status und Anerkennung geht. Es sind Alpha-Männchen-Spiele, bei denen ich nur vorher den Ort und die Zeit nicht kenne.

Die Aktivierung im Gehirn bleibt dabei die „normale“ aus dem OFC heraus und berücksichtigt nicht das was Rory Miller als „predatory violence“ bezeichnet: Die überfallartige Gewalt mit der Zielsetzung den Anderen zu töten, verletzen, entführen, vergewaltigen etc..

Alte KK kannten nur diese Art der Gewalt und wurden dafür entwickelt.

Aus den unbewaffneten Trainingsmethoden für diese Art der Gewalt entwickelte sich der sportliche Vergleich und dort wurden die Bewegungen und Techniken den jeweiligen Regeln und Gegebenheiten angepasst und entwickelten sich dort weiter. DAS ist die Wurzel und wichtigste Gemeinsamkeit, denn ein gutes Wettkampftraining befähigt den Menschen u.U. auch unter „predatory violence“ in den „Herausforderungsmodus“ zu gehen, da sein Körper und Geist trainiert sind mit Gewalt umzugehen und sie auszuüben!!!

Einen Lehrer und eine Schule zu finden die WIRKLICH noch eine alte KK lehren und wissen wie man die Leute psychisch auf einen solchen Kampf vorbereitet ist extrem schwierig. Der Umgang mit Waffen ist dafür wichtig, der Umgang mit der Vorstellungskraft ist essentiell und man muss die Anwendungen mit und ohne Waffen kennen und können um es zu trainieren, vor allem im freien Modus!

Der „Preis“ den eine alte KK fordert, wenn man sie wirklich ernsthaft lernen will, ist die Veränderung der Persönlichkeit, denn die Trainingsmethoden haben genau das als Ziel (siehe dazu auch den Artikel über die „Straßen, Netze und Bewegung“). Es geht immer um Gewalt, Tod und Angst, aber wo diese drei sind ist auch immer ihr Gegenpol: Liebe, Leben und Freude…

Uns persönlich ist es wichtig darauf hinzuweisen dass Wettkampf und „alte“ KK mehr gemeinsam haben als man denken mag und die Unterschiede eher gering sind! Bei allem Pro und Kontra darf man nie vergessen dass man immer die richtige Methode für das eigene Ziel haben muss. Dafür muss man zuerst das eigene Ziel kennen und dann die richtige Methode lernen. Wenn ich ein guter Wettkämpfer werden will brauche ich einen guten Trainer und ein gutes Team. Wenn ich einen gesunden Körper will, dann brauche ich einen Trainer der Ahnung von funktionalem Training hat.

Wenn ich eine „alte KK“ lernen will, dann brauche ich eine ungebrochene, authentische, Linie.

Bagua – Flower under the leaf
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